227 Fans
Wusstet ihr, dass 2020 Deutschlands beliebtestes Kantinengericht, die Currywurst, vom Thron gestoßen wurde? Jahrzehntelang konnte sie sich die Spitzenposition unter den deftigen Mittagssnacks Deutschlands sichern, doch nun hat eine neue Regentschaft begonnen: Seit letztem Jahr ist die Bolognese die ungekrönte Königin der Mensa. Es kann kein Zufall sein, dass sich jener Machtumschwung just in dem Jahr vollzog, in dem sich die Boloboys gründeten – die vielleicht ungewöhnlichsten, aber auch sympathischsten Markenbotschafter in Sachen Bolognese und Trap/Suff/Scheiß-auf-irgendwelche-Schubladen-Rap, die man jenseits des Spaghetti-Äquators und darüber hinaus finden kann!
Boloboys, das sind makko, Sin Davis, CAN MIT ME$$R, toobrokeforfiji, beslik meister, okfella und Loco Candy. Ein wild zusammengewürfeltes Kollektiv aus Skatern, Tattoo-Afficionados, Rappern, Poeten, Träumern, aber vor allem Freunden, die in sich eine neue Familie gefunden haben und die dem Crewgedanken im HipHop endlich wieder ein siebenfaches Gesicht geben. Oder wie CAN MIT ME$$R es ausdrückt: „Wir sind die Tomatensoßen-Odd-Future.“
Der Vergleich passt perfekt. Denn wie auch schon Odd Future Skate- und Punk-Kultur im US-HipHop salonfähig machten, lebt auch der Spirit des Punk im HipHop und der Attitüde der Boloboys weiter. Teilweise sogar im wortwörtlichen Sinne: Einige Boloboys-Mitglieder wie toobrokeforfiji, CAN MIT ME$$R oder Loco Candy sind neben den Boloboys solo auch in gitarrenlastigeren Genres wie eben Punk, Rock und Indierock unterwegs. Aber auch innerhalb der HipHop-Crew wird Punk in Sachen Mindset, Arbeitsweise und Weltanschauung hochgehalten. DIY-Ästhetik trifft auf eine antiautoritäre Attitude, absolute persönliche Freiheit ist das höchste Gebot. Es darf dreckig, unperfekt, roh und unangepasst sein – es muss sogar, wenn das die Kunst und das Leben verlangt! So entstehen auch alle Tracks meistens spontan zwischen Skatedecks, Bierflaschen und dampfenden Tellern voll Bolo in der 1-Zimmer-Wohnung von Makko in Berlin Lichtenberg. Es geht um Spaß, um Saufen mit den Jungs, jugendliche Verschwendungsfreude am eigenen Körper, aber auch allem, was einem der Kapitalismus offeriert und das man ihm dankend aus der Hand reißt, nur um es ihm direkt danach wieder vor die Füße zu spucken. Jeder auf seine eigene, unangepasste und unverkennbare Art.
Da wäre zum Beispiel makko, der im letzten Jahr bereits für helle Lichtblitze im Untergrund sorgte mit seiner markanten Stimme und unaufgeregten Flows, die trotzdem direkt einen Nerv treffen und so schon Streams in Millionenhöhe generieren konnte. Oder Sin Davis, der mit seinem Slow-Motion Rap Lil Peep Feels triggert, ohne dabei auf seine ganz eigene Note zu verzichten. CAN MIT ME$$R, der wie es beslik meister ausdrückte, ist der „Kanarienvogel“ der Crew und sorgt immer für neue Perspektiven und Inspiration, während beslik mit seinem Stimmvolumen die Harmonien mal in den Himmel, mal in die Hölle schickt. Loco Candy hat mit seinen englischen Lyrics seine ganz eigene Nische gefunden und nicht zuletzt wären da noch die backin-the-day—Freunde okfella und toobrokeforfiji, die beweisen, dass fokussiert ADHS-ig am Start sein kein Widerspruch ist und Brandenburg sich in Sachen Rap nicht hinter der Hauptstadt verstecken braucht.
Jeder einzelne von ihnen hat seinen ganz eigenen, intensiven Flavour. Aber zusammen in einen Topf geworfen, entsteht ein herzhaft leckerer Jus, der süchtig macht – um mal bei der Bolognese-Metapher zu bleiben.
Die Boloboys sind wie man merkt keine gewöhnliche HipHop-Crew. Die meisten HipHop-Camps verbindet eine gemeinsame Herkunft. Häufig ist es das Aufwachsen in derselben Petrischale von Erfahrungen, Orten, Kindheitserinnerungen und Struggles – kurz die Hood – die Rap-Crews verbindet. Bei den Boloboys ist das anders. Von NRW über Ostdeutschland bis Istanbul, von Soldaten-Familie bis Arbeiterkind, vom Studenten zum Hänger: die familiären und persönlichen Hintergründe der Boloboys sind teilweise sehr unterschiedlich. Was sie miteinander verbindet, ist nicht die Hood, sondern die Mood. Dazu zählen vor allem zwei Dinge: Skate-Culture und Musik. Beides praktizieren sie in den letzten Monaten meist irgendwo zwischen Berlin und Wien. Und wer weiß: Vielleicht sind diese beiden Interessen ja sogar die besseren Klebstoffe, um eine Gang zusammenzuschweißen.
„Skaten ist mehr eine Lebenseinstellung als ein Sport“, erklärt okfella eine der Säulen, auf denen die Boloboys errichtet wurden. „Das ist nicht wie beim Fußball, wo es darum geht, Tore zu schießen. Es geht darum, einen Style zu entwickeln und auch darum, wie man mit Scheitern umgeht.“ Dieser Satz verrät uns viel über die Attitüde der Boloboys. Denn sowohl Extremsport als auch Rap sind meistens mit viel Ehrgeiz und Disziplin verbunden. Es geht ums Gewinnen, um Perfektion. Ellenbogen raus und Erster sein. Skaten – und eben auch die Art von Rap, die die Boloboys machen – verfolgen da andere Ziele. Es ist die Fuck-you-Attitüde, das ehrliche „Ich gebe einen Fick darauf, was morgen ist, dieser Moment ist das, was zählt“-Gefühl, das Skater von anderen Sportlern und die Boloboys von anderen Rapper*innen abhebt – und untereinander vereint. Eben not your average HipHop-Crew.
Vielleicht sind die Boloboys und ihr kommendes Tape deswegen auch genau das, was wir alle gerade brauchen. Einfach mal ehrlicher, erholsamer, dummer Spaß, besoffene Lines und Freude am Zusammensein. Boloboys sind Soulfood in einer Zeit, in der sich Leute Carbs verbieten und Intervallfasten. Das ist ja auch alles OK – aber hier und da braucht man eben einfach auch mal was für die Seele und fürs Herz. Das ist nämlich ein weiterer Faktor, der die Boloboys verbindet: „Uns eint das Herz“ meint CAN. Und das ist ja bekanntermaßen eh die wichtigste Zutat bei jedem Gericht, so auch bei der Bolo: Ganz viel Liebe. Und Rotwein. Schmeckt.